[ROSE WYLIE] ART Magazine




 


"Ich hasse elegant"


 


Sie ist 81 und malt wie eine Junge Wilde. Die Britin Rose Wylie dreht Medienbilder durch den Fleischwolf des Bad Painting. Dass sie so spät entdeckt wurde, sieht sie positiv: Weil ich alt bin, kann ich machen, was ich will.


 


Text: Hans Pietsch, Fotos: Pal Hansen


 


Eine schwarze Frau mit ausla- dender Figur in weißem Kleid, ärmellos und gestärkt, wie auf der Leinwand zu lesen ist. Neben ihr, auf einem Früh- stückstisch,  steht  eine Vase mit Blumen, jemand löffelt sich Essen in den Mund, aus einem rosa Lautsprecher erklingt offensichtlich Musik.


 


Rose Wylie lässt Marianne Sägebrechts Jasmin aus Percy Adlons Kultfilm Out of Rosenheim aus ihrem Dirndl in die Rolle der schwarzen Café-Besitzerin Brenda schlüpfen. Das gewaltige Gemälde, noch unfertig und ohne Titel, ist an einer Stirnwand von Wylies Atelier ftxiert. Es gehört zu ihrer Serie Film Notes, die sie vor mehr als 20 Jahren begann und zu der sie – als erklärte Cineastin regelmäßig zurückkehrt. Momentaufnahmen aus Filmen, die sie gesehen hat und die ihr im Gedächtnis geblieben sind. 'Mir geht es dabei weder um Handlung noch um Psychologie, sondern einzig und allein um den visuellen Eindruck, sagt sie. Was ich auf die Lein- wand zu bringen versuche, ist die Erinnerung an diesen visuellen Augenblick.


 


Fast wie eine Junge Wilde, mit kindlicher Direktheit, attackiert die Malerin ihre Leinwände. Ihr Stil ist roh, unbehauen. Wie  das Spätwerk des US-Amerikaners Philip Guston, den sie bewundert. Großbritanniens berühmtester Kritiker Brian Sewell bezeichnete ihre Kunst als Kritzeleien einer Vierjährigen was sie beinahe als Kompliment empftndet. Kin- der gehen völlig unvoreingenommen an Aufgaben heran, nicht wie Erwachsene, die diesen gan- zen Ballast mit sich herumtra- gen, sagt sie. »Das gefällt mir. Die scheinbare Kunstlosigkeit ihrer Kunst kommt also nicht von ungefähr. Ich hasse 'elegant, ich bevorzuge 'unbeholfen. Was aber nicht ›hässlich‹ heißt.


 


Erstaunlich ist, dass diese so jung und wild wirkende  Kunst von einer 81 Jährigen stammt. Und dass sich der Erfolg erst im Alter einstellte. Die Kunst welt entdeckte sie, als sie 2009 unerwartet Finalistin eines Londoner Kunstpreises wurde und ein Jahr später als einzige Nicht Amerikanerin in eine Schau über Künstle- rinnen mit Potenzial im NatioNal MuseuM of WoMeN iN the arts in Washington auf genommen wurde. Die Feministin Germaine Greer schrieb einen begeisterten Artikel über sie im Guardian, Ausstellungen in der tate BritaiN und der JerWood Gallery in Has- tings folgten sowie weitere Preise, allen voran der angesehene John Moores Painting Prize in 2014. Da war sie 80. Und im vergangenen Jahr ehrte die royal acadeMy of arts sie nicht nur mit einer Mitgliedschaft, sondern auch mit dem Charles Wollaston Preis für ihr Gemälde Herr Rehlinger in White Armour (2014), nach dem Werk eines Augsburger Meisters  des 16. Jahrhunderts.


 


Ihr Atelier befindet sich im ersten Stock eines winzigen verwunschenen Hauses in einem kleinen Dorf der Grafschaft Kent. Fenster an zwei Seiten, überall auf dem Fußboden zerknüllte Zeitungen, Farbkleckse, zwei Stühle, der eine mit Farbe bespritzt, der andere sauber für Besucher wie Sie, sagt sie. Hier arbeitet sie. Ich setze mich den ganzen Tag über nicht hin. Kein Lunch, nichts. Das kann zwei, drei Tage dauern. Dann lege ich einen Tag zum Nachdenken ein.


 


Das Backsteinhaus ist seit mehr als 40 Jahren ihr Zuhause, hier lebte sie mit ihrem Mann, dem vor zwei Jahren gestor- benen Maler Roy Oxlade, hier wuchsen ihre drei Kinder auf. Die beiden lernten sich an der Kunstakademie kennen und heirateten. Er blieb bei der Malerei, sie legte den Pinsel weg und kümmerte sich um den Haushalt. Bedau- ert sie es, die Kunst zeitweilig aufgegeben zu haben? Diese Frage ärgert mich! Ich bin ja nicht untätig gewesen. Ich habe gekocht, Klei- der genäht. Und Kinder großziehen ist eine wichtige und lohnenswerte Aufgabe.


 


Nachdem die Kinder flügge geworden waren, kehrte sie zur Malerei zurück und absolvierte ein Postgraduiertenstudium am royal colleGe of art in London. Sie war 47, als sie 1981 ihr Examen machte. Doch der Erfolg blieb aus keiner interessierte sich für ihre Kunst, niemand wollte ihre Bilder kaufen. Die stapelten sich im Haus und nahmen Platz weg. Bis sich dann der plötzliche Erfolg ein- stellte. Heute werden Wylies fertige Gemälde sofort abgeholt. Sie sind oft bereits verkauft oder werden von ihrer Galerie fachgerecht gelagert. Hat der Erfolg sie verändert? Keineswegs. Wenn man als junger Künstler Erfolg hat, wenn Arbeiten gekauft werden, dann steht man unter Druck, genau das zu liefern. Das ist bei mir nicht der Fall. Weil ich alt bin, kann ich machen, was ich will.


 


Sie zeichnet ständig, wo immer sie ist. Fast obsessiv, wie sie zugibt. Und ihren Gemälden gehen Dutzende Zeichnungen voraus. Es ist ein Prozess des Filterns, der Klärung, der Reduktion, sagt sie. Die endgültige Zeichnung, die dann als Schlüssel für ein Gemälde dient, ist die Erinnerung an die vielen Zeichnungen, die ich davor gemacht habe. So ganz genau weiß sie nicht, warum sie nicht ausschließlich zeichnet statt zu malen. Zeichnungen sind viel wichtiger. Aber Gemälde sind farbig und ich liebe Farbe! Gemälde sind groß und ich liebe Größe!


 


Sie malt nicht nur Filmszenen, immer wieder bedient sie sich auch beim Bildaufbau ftlmischer Mittel, wie bei zwei Darstellungen einer Szene aus dem Film Syriana. Die eine, Pink Table Cloth (Close Up) (2013) zeigt in Nah- aufnahme einen Tisch in der Wüste, die andere, Pink Table Cloth (Long Shot) (2013), zeigt ihn in der Totale.


 


Auf dem Esstisch schneidet Rose Wylie von einer Rolle ungrundierter, roher Leinwand ab, was immer sie braucht. Die Breite der


 


Rolle, meist 1,83 Meter, bestimmt die Höhe des Bildes. Reicht ihr der Platz an der Seite nicht aus, stückelt sie einfach an. Und ist sie mit einer Stelle nicht zufrieden, kratzt sie entweder die Farbe ab oder klebt ein Stück Leinwand darüber und fängt von vorn an.


 


Sie grundiert ihre Leinwände nicht, son- dern beschichtet sie lediglich mit Hasenleim. Früher malte sie auf dem Fußboden, doch seit es ihr schwerfällt, sich zu bücken, pinnt sie die Leinwand an die Stirnwände des Ateliers und arbeitet im Stehen. Erst wenn ein Bild fertig ist, zieht sie es auf einen Rahmen auf. Die Leinwände lassen sich so leichter la- gern, sagt sie. Sie hat auch nichts dagegen, in Ausstellungen eine Leinwand direkt an der Wand zu befestigen. Und sollte eine Wand für ein besonders lang geratenes Gemälde nicht ausreichen, wird es einfach um die Ecke her- um gehängt.


 


Sie mag Sujets, die jeder kennt, sie plündert also Film, Fernsehen, Zeitungen. Mal Berühmtheiten wie den Filmstar Nicole Kidman oder den Fußballer Wayne Rooney. Ich habe mal die biblische Figur Salomon durch den Fußballer John Terry ersetzt, erzählt sie.


 


Beide haben etwas gemeinsam: Sie sind schwer reich. Auch der total überwucherte Garten hinter dem Haus, ein Paradies für kleineres und größeres Getier, fördert immer wieder Motive für Gemälde zu Tage. Bird, Butterfly, Worm (2015) war im Winter in einer Schau der Galerie VW in Berlin zu sehen, ebenso wie eine neue Werkgruppe: Schokola- dengemälde wie Chocolate Ghost (2015), mit ironischen Anspielungen auf die Kürbisköpfe und Gespenster von Halloween. Die Idee kam mir, als mir jemand zu Halloween eine Schachtel mit Schokolade schenkte, sagt sie.


 


Im Atelier hängt die gemalte Marianne Sägebrecht einer ebenso gewaltigen Lein- wand gegenüber. Ein dreimastiges Segelschiff schaukelt auf den Wellen, am Bug eine weibliche Galionsftgur  die Mayflower, die die ersten englischen Siedler von Plymouth aus in die Neue Welt verschiffte. Das Gemälde ist für eine Ausstellung in ebenjener südenglischen Hafenstadt gedacht. Noch ist es nicht fertig, doch es ist schon eindeutig ein Bild von Rose Wylie. Geheimnisvoll sagt sie: Ich möchte, dass ein Kohlkopf wie ein Kohlkopf aussieht. Und ein Gemälde wie ein Gemälde.


(C) CHOI&LAGER Gallery


 


 


 


 


 


German article on Rose Wylie by Hans Pietsch for Art Magazine.